Cyborg
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Überwindung des Menschen?

Trans- und Posthumanismus im Gespräch mit der theologischen Anthropologie​

Mit Prof. Dr. Michael Coors (Zürich), Prof. Dr. Benedikt Paul Göcke (Bochum), Dr. Reto Gubelmann (St. Gallen), Prof. Dr. Oliver Krüger (Freiburg), Dr. Janina Loh (Wien), Dr. Alexander Darius Ornella (Hull), Anna Puzio (München)

 

Montag 18. Januar 2021, 8:45-17:00

Die Tagung findet online statt

Die Verschmelzung von Mensch und Technik ist nicht neu. Künstliche Implantate wie Hüftgelenke, Zahnprothesen, Herzschrittmacher u.a. gehören zum medizinischen Alltag. Psychopharmaka werden nicht nur zu therapeutischen Zwecken eingenommen, sondern auch zwecks willkürlicher psychischer Leistungssteigerung (Neuroenhancement). An Befruchtungstechniken wie die In-vitro-Fertilisation haben wir uns längst gewöhnt und es stehen grundlegende Eingriffe ins menschliche Erbgut an… Kurz gesagt: Im Verhältnis von Mensch und Technik gibt es schon seit einiger Zeit eigentümliche Amalgamierungen und Übergänge zu beobachten.

Im Zuge der Digitalisierung haben diese Amalgamierungen von Mensch und Technik bzw. Mensch und Maschine nun aber eine Verschärfung erreicht, die anthropologische Visionen und Theorien befördert, die bislang vorwiegend der Science-Fiction-Literatur vorbehalten waren. In den Visionen und Theorien der Diskurse, die unter dem Label „Trans- und Posthumanismus“ versammelt sind, geht es um die technologische Verlängerung, Perfektionierung und Überwindung des Menschen, um die Ausbildung von artifizieller Superintelligenz, die Übertragung des menschlichen Geistes auf Computer, um Unsterblichkeit etc. Unser Symposion will untersuchen, ob und inwiefern in diesen Visionen und Theorien auch „religiöse“ Aspekte eine Rolle spielen, und will sie mit der theologischen Anthropologie in ein kritisch-konstruktives Gespräch bringen.

Ausführlicher Bericht und Kommentar

Im Zuge von Robotisierung und Digitalisierung haben Amalgamierungen von Mensch und Technik eine neue Dimension erreicht. Neben den Science-Fiction-Phantasien existiert seit längerem ein Diskurs, der unter dem Oberbegriff Trans- bzw. Posthumanismus firmiert. Wie Matthias Wüthrich (IHR) einleitend sagte, stellt sich die alte kantische Frage „Was ist der Mensch?“ neu.

Oliver Krüger (Fribourg) machte zunächst eine begriffliche Differenzierung: es gibt einerseits den Trans- bzw. den technologischen Posthumanismus, andererseits den kritischen Posthumanismus, der den traditionellen Humanismus einer feministischen und postkolonialistischen Kritik unterzieht.

Die Vertreterinnen und Vertreter des technologischen Transhumanismus zielen darauf ab, den Menschen mit technischen Mitteln zu „verbessern“ oder gar den Menschen in seiner endlichen, verletzlichen Gestalt zu überwinden zugunsten einer unbefristeten Existenz, die nicht mehr auf einen biologischen Körper angewiesen ist. Die biologische Evolution würde abgelöst werden durch die technologische. Die Anthropologie, die diesem Projekt zugrunde liegt, hat Frank Tipler so formuliert: „I therefore regard a human being as nothing but a particular type of machine (…)“

Wie Krüger bemerkt, lebt im technologischen Posthumanismus die aufklärerische Idee einer Verbesserung des Menschengeschlechts weiter, ohne aber die der Aufklärung eigene Idee einer moralischen Verbesserung. Zudem kennt die Bewegung durchaus eine Anthropozentrik, insofern als aus dem Menschen die nächste Lebensform entstehen soll. Wenn diese Lebensform dann auch das totale Wissen anstrebt, wird sie in gewisser Weise zu Gott.

In ihrem Vortrag „Zwischen Perfektionierung und Überwindung“ differenzierte Janina Loh (Wien) zwischen Transhumanismus, der den Menschen verbessern will und technologischem Posthumanismus, bei dem die Verbesserung des Menschen lediglich ein Durchgangsstadium zu einer posthumanen Existenz darstellt. Der Transhumanismus will nachweisen, dass die Überwindung der eigenen Grenzen seit jeher zum Menschen gehört, was das eigene Vorhaben in Kontinuität mit der bisherigen Menschheitsgeschichte erscheinen lässt.

Der kritische Posthumanismus kritisiert die patriarchalen, kolonialistischen, essentialistischen Züge des Humanismus, ohne jedoch eine Alternative zu formulieren. Loh unterzieht den kritischen Posthumanismus einer Metakritik. Die Essentialismuskritik geht ins Leere, denn der Humanismus selbst hat die Rede eines Wesens des Menschen einer Kritik unterzogen. Unter der Hand essentialisiert der kritische Posthumanismus selbst Eigenschaften des Menschen.

Auch die Theologie hat den traditionellen Humanismus kritisiert, und es lohnt sich, an diese Kritik zu erinnern, weil sie nämlich auch den Posthumanismus trifft. Wer „die Potentiale des Menschen“ entwickeln will, muss erklären, wie die Potentiale zum Bösen von den entwicklungswürdigen zu trennen sind. Sonst riskiert man, Monster heranzuzüchten.

Alexander Ornella (Hull) illustrierte die populärkulturelle Seite des Phänomens: Der akademische post- bzw. transhumanistische Diskurs nimmt Motive aus der Science Fiction-Literatur auf, auf der anderen Seite regt jener Diskurs auch populärkulturelle Phänomene an wie z.B. Fernsehserien und Filme. Ornella nannte als Beispiele die Netflix-Serien Altered Carbon sowie Ad Vitam und erinnerte an den Kinofilm Avatar. Interessant ist die Behandlung des Phänomens Religion: oftmals wird Religion auf Fanatismus reduziert, während der technologische Transhumanismus eindeutig religiöse Züge trägt und Motive aus der jüdischen und christlichen Tradition aufnimmt. Dazu später mehr.

Michael Coors (Zürich) wiederum unterzieht den technologischen Transhumanismus einer theologischen Kritik. Der Wille, dem Menschen ewiges Leben auf Erden zu ermöglichen, differenziert nicht zwischen Ewigkeit als unendliche Zeit und Ewigkeit als einen Zustand, der Zeit transzendiert. Dass ein langes Leben kein erfülltes Leben bedeuten muss, leuchtet ein. Es gibt in Philosophie und Theologie raffinierte Überlegungen zum Thema Zeit und Ewigkeit, z.B. bei Augustinus und Karl Barth.

Benedikt Paul Göcke (Bochum) formulierte die logischen Argumente, die hinter dem Trans- bzw. dem technologischen Posthumanismus stehen. In vereinfachter Form:  1) Die Entwicklung zum Menschen ist kontingent. Da er keinen moralischen Status besitzt, kann er verbessert und überwunden werden. 2) Das selbstbewusste Leben hat einen intrinsisch positiven Wert. Es ist geboten, die zukünftige Existenz des selbstbewussten Lebens zu sichern und diejenigen Eigenschaften zu steigern, die zu einer Verbesserung der Lebensqualität führen. Matthias Egg (foχs) wies während der Diskussion darauf hin, dass die Argumente 1 und 2 widersprüchlich sind: wenn dem Menschen kein moralischer Status zukommt, dann hat sein Leben keinen intrinsisch positiven Wert.

Der Trans- bzw. Posthumanismus ist Gegenstand laufender Forschungen. Reto Gubelmann (St.Gallen/foχs) forscht zu neuronalen Netzwerken, die u.a. für maschinelle Übersetzungen und auch für die Generierung von Texten wichtig sind. Dieses Gebiet hat in den letzten Jahren eine geradezu explosionsartige Entwicklung durchgemacht. Heute lassen sich maschinell generierte Texte auf bestimmten Gebieten nicht mehr von menschlich generierten unterscheiden. Gubelmann sagte, dass diesen Programmen weder intrinsische Zwecke noch Absichten zuzuschreiben sind. Sie gleichen eher frühen Vorstufen von Bakterien als Menschen.

Anna Puzio (München) arbeitet an einer Forschungsarbeit zum Körperdiskurs im Trans- bzw. Posthumanismus. Sie diagnostiziert einen Krypto-Cartesianismus: die Subjektivität wird körper- und weltlos gedacht. Demgegenüber macht sie die phänomenale Realität stark. Kryptocartesianisch ist auch die Selbstobjektivierung, die den Leib zum Körper werden lässt – zu einem Gegenstand inmitten anderer Gegenstände in der Welt. Demgegenüber hat die philosophische Anthropologie des 20. Jahrhunderts, namentlich Helmuth Plessner betont, dass ich keinen Körper habe – ich bin Leib.


Die dichte, gutbesuchte Tagung brachte einigen Erkenntnisgewinn. Zunächst ist es aus philosophischer und theologischer Perspektive frappant, wie sehr der Trans- bzw. Posthumanismus alte Menschheitsträume in neuer Gestalt propagiert. Namentlich die Sehnsucht nach Überwindung des verletzlichen, hinfälligen Körpers ist gar nicht neu. Dass damit ein Leibpessimismus einher geht, kontrastiert nur auf den ersten Blick mit dem westlichen Körperkult, weil auch dieser massive Eingriffe z.B. chirurgischer Art für gerechtfertigt hält. Im Trans- bzw. Posthumanismus offenbart sich der Wille zur umfassenden Kontrolle von Körper und Geist. Dass Kontrolle zum Signum der Neuzeit gehört, ist eine Binsenwahrheit. Francis Bacon, der Theoretiker der Naturwissenschaft zu Beginn der Neuzeit, versprach ein besseres Leben durch Naturbeherrschung. Da zu dieser Natur auch wir selbst gehören, macht Naturbeherrschung vor dem Menschen nicht halt.

Wie zum Judentum und Christentum Verheissungen gehören, so hat auch die Neuzeit ihre eigene, säkularisierte Verheissung: nicht mehr das gelobte Land, nicht mehr Gottes Reich, sondern ein besseres Leben aus eigener Kraft durch Wissen-schaft und Technik. Der technologische Posthumanismus stellt eine extreme Steigerungsform dieser neuzeitlichen Verheissung dar: ein besseres Leben durch Überwindung der menschlichen Existenz. Darin spiegelt sich ein ungebrochener Optimismus, ein ungebrochener Fortschrittsglaube, der typisch amerikanisch ist und der die Fortschrittskritik, die mit Rousseau, wenn nicht schon mit Vico, beginnt und nach dem I. Weltkrieg in Europa massenwirksam wird, ignoriert.

Walter Christian Zimmerli hat in einem NZZ-Artikel vom 13.1.21 zudem darauf hingewiesen, dass im technologischen Posthumanismus eine typisch christliche Naherwartung zum Ausdruck kommt, indem seine Vertreter verkünden, dass die intelligente Maschine vor der Tür stehe – für Zimmerli ein Mythos. Die christliche Eschatologie wird nur halbwegs zu einer technologischen säkularisiert.

Der Artikel findet sich hier.

Die Tagung hat einen Punkt nicht berührt, der mir wesentlich scheint. Wir reden hier nicht nur über einen akademischen Diskurs, auch nicht nur über populärkulturelle Phänomene. Wir reden auch über handfeste ökonomische Interessen. Schon fliessen Milliarden in Firmen, die zum Ziel haben, den Alterungsprozess auszuschalten. Wenn die Projekte Erfolg haben, erwarten die Investoren riesige Gewinne.

Yuval Harari, der mit seinem Buch „Homo Deus“ zur Verbreitung der Ideen des technologischen Posthumanismus beigetragen hat, warnt neuerdings vor den Folgen einer Ausschaltung des Alterungsprozesses: aller Ungleichheit zum Trotz sei es heute noch so, dass alle Menschen sterben müssten. Der Tod als ultimativer Gleichmacher. Gäbe es ein Verfahren, das den menschlichen Alterungsprozess ausschalten könnte, würden die Reichen Zugang zu dieser Technik haben, die Armen aber nicht. Dies würde eine nie gekannte Ungleichheit mit unabsehbaren Folgen bedeuten.

Darüber hinaus frappiert das völlige Fehlen eines historischen Bewusstseins in den Phantasien der technologischen Posthumanisten. Programme zur Hervorbringung eines „neuen Menschen“ hat es im 20. Jahrhundert mindestens zwei gegeben, das nationalsozialistische und das bolschewistische. Beide endeten im Völkermord.

Dies sollte uns zumindest eine gesunde Skepsis gegenüber allen Menschenverbesserungs- oder -Überwindungsvisionen einflössen.

Aus theologischer Warte lässt sich im technologischen Posthumanismus eine Form moderner Gnosis erkennen. Mehr dazu hier:

Schiffbruch mit Publikum. Über Verfallsgeschichten – feinschwarz.net


Francesco Papagni (foχs)

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