Geldvertrauen – Die Verflechtung von Ökonomie, Gottesvorstellungen und kultischen Praktiken

Prof. em. Dr. Christina von Braun (Berlin)
Prof. Dr. Florian Schui (St. Gallen)
 

28. September 2024, 10:15

Theologische und Religionswissenschaftliche Fakultät der Universität Zürich
Kirchgasse 9, 8001 Zürich

KIR-308

Diese Tagung untersucht die komplexe Beziehung zwischen ökonomischen Systemen, religiösen Überzeugungen und rituellen Handlungen in verschiedenen Kulturen und Epochen. Ausgehend von der These, dass Geld nicht nur ein Tauschmittel, sondern auch ein symbolisches Medium darstellt, wird analysiert, wie monetäre Konzepte religiöse Vorstellungen prägen und umgekehrt. Zudem wird untersucht, wie moderne Finanzsysteme quasi-religiöse Züge annehmen können, exemplifiziert an Phänomenen wie dem «Marktkult» oder der «Vergöttlichung» des Wirtschaftswachstums. 

Die Tagung beleuchtet die Triade von Geld, Gott und Kult und die damit zusammenhängenden fundamentalen Fragen nach Wert, Sinn und gesellschaftlicher Organisation. 

Tagungsbericht:

Die Herbsttagung der Stiftung Forum christliche Studien foχs kann auf die Formel Geld, Gott, Kult gebracht werden. Dass zwischen unseren Vorstellungen von Geld, Markt, ökonomischem Gleichgewicht, Zentralbanken und religiösen Ideen ein Zusammenhang besteht, wird immer wieder behauptet. Am 28. September ging es darum, diese Beziehung zu beleuchten.

Prof. Florian Schui (St. Gallen) widerlegte in seinem Vortrag einige Gemeinplätze zur Entstehung des Geldes. Landläufig stellt man sich die Einführung von Metallmünzen als dezentalen Vorgang vor, der den Tausch Ware gegen Ware abgelöst hat. Tatsächlich finden wir das erste geldähnliche Zeugnis in antiken Mesopotamien: es ist ein Wechsel, wo ein namentlich genannter Mann sich verpflichtet, zwei Scheffel Weizen im Folgejahr zu liefern. Dies bedeutet ein Doppeltes: Münzgeld gibt es, wenn es eine zentrale Herrschaft gibt. Und die Entstehung des Geldes geht mit dem Konzept von Schuld einher. So ist es z.B. für den Staat viel einfacher, Steuern einzutreiben, wenn es Metallmünzen gibt. Staatlicher Steuerzwang ist also ein wesentlicher Faktor bei der Entstehung des Geldes. Andererseits haben frühe Staaten ihren Geldbedarf immer wieder damit gedeckt, dass sie den Edelmetallanteil der Münzen verringert haben.

In modernen Gesellschaften schafft nicht nur der Staat Geld. Auch die Banken schaffen es, indem sie Kredite sprechen. Macht eine Bank dies, erhöht sie die Geldmenge. Das ganze System ist auf Vertrauen gebaut. Gäbe ein Privater Papiergeld aus, würde es kaum jemand annehmen, denn Private sind nicht im gleichen Masse vertrauenswürdig. Der Staat kann Schulden machen und soll es nach Schui auch, denn Austerität schädigt alle. Damit bekennt der Vortragende sich zur neo-keynesianischen Denkschule. Das ist nach ihm unbedenklich, wenn der Staat sich bei den eigenen Bürgern verschuldet. Der Staat kann dann alte Schulden mit neuen decken.

In der Diskussion wurde gefragt, ob dies nicht zu gut sei, um wahr zu sein. Florian Schui schränkte sein Votum insoweit ein, dass es natürliche Grenzen für staatliche Ausgaben gebe, Verfügbarkeit von Arbeitskräften und Produktionskapazitäten. Staatliche Ausgaben würden ins Leere laufen, wenn es keine Firmen gäbe, die die Aufträge auch ausführen würden. Ein Teilnehmer wandte ein, dass Vertrauen ein zentraler Faktor der Geldwirtschaft sei. Japan erträgt eine enorm hohe Staatsschuld, weil seine Bürger immer wieder Obligationen zeichnen. Argentinien hingegen kann sich inländisch nicht verschulden, weil Argentinier überhaupt kein Vertrauen in ihren Staat haben. In der Tat hat Argentinien in den letzten Jahrzehnten mehrmals Staatsbankrott anmelden müssen.

Prof.em Christa von Braun (Berlin) ging das Thema kulturwissenschaftlich an. Sie wies mit einer Fülle von Belegen auf den Zusammenhang zwischen Geld und Kult hin. Der Doppelstrich im Dollar- und Eurozeichen lässt sich auf das Zeichen für Stier – die zwei Hörner – zurückführen. Der Stier wiederum ist das Opfertier par exellence. Menschen opfern, um Gott oder Götter gnädig zu stimmen und um eine Schuld ihnen gegenüber zu begleichen.

Das Christentum verstärkt diesen Zusammenhang mit der Lehre von einem Gott, der für die Menschen stirbt, um ihre Schuld zu begleichen. Dies führt nicht dazu, dass die Menschen nun schuldlos wären. Im Englischen und in den romanischen Sprachen gibt es zwei Worte für Schuld, je nachdem ob es sich um moralische oder wirtschaftliche Schuld handelt. Von Braun wies darauf hin, dass z.B. in der italienischen Variante des Vaterunser es nicht „peccati“ sondern „debiti“ (rimetti a noi i nostri debiti) heisst, was eine einfache Zuordnung der Bedeutungen von Schuld nicht ermöglicht. Kurz, die westlichen Menschen sind in einem Schuld-Schuldenzusammenhang verstrickt, aus dem sie nicht herauskommen. Die Multiplikation des Geldes interpretiert sie als vergeblichen Versuch, aus dieser Verstrickung herauszukommen.

Von Brauns Theorie der Beziehung Schuld-Opfer-Geld konkurriert mit anderen Opfertheorien, wie derjenigen von Walter Burkert. Der Zürcher Gräzist hat mit „Homo Necans“ (1972) eine eigentliche Kulturentstehungstheorie geschrieben. Nach Burkert tötet der Mensch im Krieg und auf der Jagd. Das Erschrecken über den Akt des Tötens muss er verarbeiten im Opfer. Im Gegensatz zu von Braun, die kein Opfer vor der Sesshaftwerdung – nur Nutztiere können nach ihr Opfertiere sein – annimmt, ist für Burkert das Opfer gleichsam ein Existentiale des Menschen.

Fazit: Das berühmte Böckenförde-Dictum: Der freiheitliche Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann, kann auch auf die Ökonomie angewendet werden. Die Wirtschaft lebt von Voraussetzungen, die sie weder schaffen noch garantieren kann. Und damit sind nicht die vielzitierten Rahmenbedingungen gemeint, vielmehr die kulturellen Voraussetzungen. Unsere foXs-Tagung hat ebenjene Voraussetzungen zum Thema gemacht und gezeigt, dass man weit in die Vergangenheit zurückblicken muss, um sie zu rekonstruieren.

Francesco Papagni