Prof. Dr. Claudia Franziska Brühwiler
(St. Gallen)
Prof. Dr. Michael Hochgeschwender
(München)
17. Mai 2025, 10:00
Theologische und Religionswissenschaftliche Fakultät der Universität Zürich
Kirchgasse 9, 8001 Zürich
KIR-308
Wir laden zu einer interdisziplinären Veranstaltung ein, die sich mit dem Einfluss religiös-konservativer, insbesondere katholischer Intellektueller auf die gegenwärtige politische Landschaft der USA auseinandersetzt.
Dieser Workshop untersucht, wie theologische und philosophische Traditionen konservativen Denkens das aktuelle politische Geschehen in den Vereinigten Staaten prägen, insbesondere im Kontext der polarisierten Parteilandschaft unter der zweiten Präsidentschaft Donald Trumps. Im Fokus stehen die zunehmend kritischen Stimmen gegenüber dem liberalen Staatsmodell und deren Resonanz bei politischen Entscheidungsträgern.
Anmeldung erforderlich (vgl. Veranstaltungsflyer)
Veranstaltungsflyer
Uns ist immer noch nicht klar, welche gesellschaftlichen und kulturellen Entwicklungen zur zweiten Trump-Präsidentschaft geführt haben. Die Stifung foXs hat einen ausgewiesenen Experten und eine ausgewiesene Expertin zum Thema gewinnen können.
Michael Hochgeschwender ist ein Spezialist für den U.S.-amerikanischen Katholizismus. Sein Vortrag mit dem Titel „Die Theocons: Konservative und libertäre Katholiken im Umfeld von Donald Trump“ bot eine historisch tiefe Sicht auf den amerikanischen Katholizismus. Zunächst ist es erstaunlich, dass etwa ein Drittel der Kabinettsmitglieder der aktuellen U.S.-Regierung katholisch sind; dies bei einem Anteil an der Gesamtbevölkerung von ca. zwanzig bis fünfundzwanzig Prozent – ein genaues Datum existiert nicht, da in den U.S.A. die Religionszugehörigkeit nicht erhoben wird. Auch im obersten Gericht, der Supreme Court, hat es so viele Katholiken wie nie, und in den beiden Parlamentskammern sind Katholikinnen und Katholiken ebenfalls übervertreten gemessen am Bevölkerungsanteil. Dabei ist der Katholizismus kein einheitlicher Block sowenig wie der amerikanische Konservativismus überhaupt.
Katholiken bildeten die Arbeiterschicht
Ursprünglich war der U.S.-Katholizismus beschränkt auf irische, italienische, polnische und deutsche Einwanderer, die das Gros der weissen Arbeiterschicht bildeten, während die amerikanische Mittel- und Oberschicht angelsächsisch-protestantisch geprägt war. Der Katholizismus war mit erheblichen Vorurteilen bis feindseliger Ablehnung konfrontiert. Dies änderte sich nach dem Zweiten Weltkrieg, als den Katholiken der soziale Aufstieg gelang. Damit verband sich gesellschaftliche Anerkennung, die sich in Präsident Eisenhowers Dictum konkretisierte: „Es ist mir egal, welche Religion ein Amerikaner hat, Hauptsache er hat eine.“ Der Antikommunismus wirkte als grosse Klammer, die konfessionelle Unterschiede tendenziell in den Hintergrund treten liess. Der U.S.-Katholizismus bildete ein eigenes institutionelles Geflecht an Schulen, Universitäten, Zeitschriften, Vereinen aus, die ein Pendant zu jenen Netzwerken schuf, welche den WASP-Amerikanern durch die berühmten Elite-Universitäten zur Verfügung stand. Bis heute gilt die private katholische University of Notre Dame in Notre Dame, Indiana als die Spitzenuniversität des U.S.-Katholizismus. Darüber hinaus spielen die Jesuiten-Universitäten und weitere Institutionen eine grosse Rolle.
Der Umbruch der Sechziger und Siebziger Jahre
Die Sechziger Jahre mit dem Vietnamkrieg, der Counter Culture und dem Aufbau des Sozialstaates unter Präsident Lyndon B. Johnson – Schlagwort Great Society – repräsentieren einen Einschnitt in der Geschichte der U.S.A. Liberaler und konservativer Katholizismus treten auseinander. Es ist in diesem Zusammenhang bemerkenswert, dass die letzte grosse Demonstration für eine weiteres Engagement in Vietnam hauptsächlich von Katholiken aus der Arbeiterschicht getragen wurde, deren eigenen Söhne kämpften, während auf der Gegenseite junge akademische WASP-Amerikaner standen, die selten in den Krieg zogen. Katholiken konnten keine Nationalisten sein, verstanden sich aber selber als Patrioten. Später mehr über diesen wichtigen Punkt.
Parteipolitisch machen die Demokraten, bis dato die bevorzugte Partei der Katholiken, einen Linksruck. Der Sozialstaat und die Minderheitenrechte wurden Hauptthema, während die korrupten Parteimaschinen, die in Verbindung mit den Gewerkschaften standen, entmachtet wurden. Akademiker übernahmen die Führung der Partei. In den Neunziger Jahren betrieb Bill Clinton de facto eine neoliberale Wirtschaftspolitik, setzte auf Globalisierung, die von political correctness, der Ursprung der heutigen Woke-Culture, begleitet wurde. Die Arbeiterschaft entfremdete sich von den Demokraten, die immer mehr zur Partei von College-Abgängerinnen und –Abgängern wurde.
Der U.S.-Katholizismus ist kein einheitlicher Block
Nach wie vor gibt es in den USA ein katholisches Milieu, das sich durch hohe intellektuelle Produktivität auszeichnet und neben universitären Einrichtungen auch in Vereinigungen und Zeitschriften seinen Ausdruck findet., wie z.B. „First Things“. Und doch ist der U.S.-Katholizismus kein einheitlicher Block: in der Migrationsfrage, z.B., gibt es strikt ablehnende, Trump-nahe Positionen wie auch solche, die Barmherzigkeit für Migranten fordern und in Papst Franziskus ihren Orientierungspunkt sahen. Präsident Trump spaltet selbst die Konservativen: es gibt die Never-Trumper, die im amtierenden Präsidenten den Inbegriff alles dessen sehen, das sie bekämpfen und es gibt bekanntlich die Trump-Anhänger, auch im katholischen Flügel des Konservativismus. Gewählt hatten die katholisch-Konservativen Trump aus ähnlichen Motiven wie die evangelikal-Konservativen, weil er nämlich in der Abtreibungsfrage und in bioethischen Fragen im Allgemeinen ihre Agenda zu vertreten schien. In jüngster Zeit sind ihnen Zweifel gekommen, denn Präsident Trump hat sich positiv über In-vitro-Fertilisation geäussert. Nun kommt der Verdacht auf, dass er in Tat und Wahrheit eugenische Positionen vertritt, was namentlich für die katholisch-Konservativen unannehmbar ist.
Katholizismus als intellektuell attraktive Position
Der U.S.-Katholizismus bleibt intellektuell und politisch eine bedeutende Grösse. Anders als in Kontinentaleuropa hat sich der Neuthomismus als die innerhalb der katholischen Kultur wichtigste Strömung nicht abgeschottet und ist auch nicht ausgegrenzt worden, vielmehr ist dieser mit der analytischen Philosophie in einen Dialog getreten, die beide Seiten befruchtet hat. Da der Katholizismus auch über eine Soziallehre verfügt, welche einen nicht-individualistischen, normativen Begriff von Gesellschaft ausgebildet hat, ist dieser auch für protestantische Intellektuelle attraktiv, denn sie erkennen die Einseitigkeit des zeitgenössischen Hyperindividualismus. In der Tat gibt es in letzter Zeit einige prominente evangelikale Theologen, die zum Katholizismus konvertiert sind. Der bekannteste Konvertit ist aber kein Theologe, sondern Vizepräsident Vance. Der Katholizismus scheint für ihn das feste metaphysische Fundament zu sein, nach dem er gesucht hat. Bekanntlich ist er mit Patrick Deneen befreundet, der mit „Why Liberalism Failed“ (2018) das Buch der Stunde geschrieben hat. Deneen ist katholisch und hat einen Lehrstuhl an der obenerwähnten Notre Dame University inne. Er nennt sich selber postliberal und hat eine einschneidende Kritik der Gesellschaft wie des politischen Systems der USA formuliert. Aber nicht alle Katholiken vertreten solche Positionen, auch nicht im Kabinett Trump. Professor Hochgeschwender weist auf die Arbeitsministerin Lori Chavez-DeRemer, die der katholischen Soziallehre nahesteht die für das Wohl der Arbeiterklasse einsteht.
Libertäre und Konservative
In der Anhängerschaft Donald Trumps gibt es neben den Konservativen, die für die traditionelle Familie, das Abtreibungsverbot und die Hochschätzung von Religion stehen, auch Libertäre. Sie stehen für einen möglichst schlanken Staat, für Wirtschaftsfreiheit, für Freihandel. Einige der prominenten Tech-Milliardäre wie Peter Thiel und Elton Musk vertreten diese Position. Zwischen den konservativen und den libertären Ansichten gibt es Spannungen, die jetzt offen hervortreten. Präsident Trumps Zollpolitik schadet den grossen amerikanischen Unternehmen, er rückt deswegen aber nicht von ihr ab. Libertäre sind ausgesprochene Individualisten, während Deneen hinter dem heutigen Individualismus einen falschen Freiheitsbegriff erkennt. Auch dazu weiter unten mehr.
Die postliberale Versuchung: Konservative Utopien
Claudia Franziska Brühwiler, Professorin an der Universität St. Gallen, bemerkte in ihrem Vortrag, dass die USA keine genuin konservative Tradition hätten wie etwa Grossbritannien mit Edmund Burke. Die USA seien nämlich aus einer Revolution hervorgegangen. Heute gibt es eine starke intellektuelle Strömung, welche die Überwindung des liberalen Staatsmodells fordere. Der schon genannte politische Philosoph Patrick Deneen und der Verfassungsrechtler Adrian Vermeule sind die meistzitierten Namen, wobei die beiden sich nur in der Ablehnung des Liberalismus einig seien. Es gibt in den USA sogenannt integralistische Bestrebungen, die der Kirche den Vorrang vor dem Staat zusprechen: Die Ziele der Kirche seien höherrangig, der Staat sei dazu da, die Kirche in ihrer Mission zu unterstützen. Was Deneen genau jenseits der Kritik an den herrschenden Zuständen will, hat er in einem weiteren Buch mit dem Titel „Regime Change“ niedergeschrieben. Brühwiler stimmt jenen Rezensionen zu, die Deneens Ausführungen etwas nebulös finden. Konservative seien eben nicht so gut darin, Gesellschaftsutopien zu entwerfen, bemerkt sie.
Was heisst postliberal?
In Deneens früherem Buch „Why Liberalism Falied“ gibt es eine Analyse und Kritik der zeitgenössischen Gesellschaft; diese sei durch und durch liberal, auch im politischen Sinne. Auf die USA bezogen heisst das, dass beide Parteien Spielarten des Liberalismus vertreten: die republikanische steht oder stand bis vor Trump für Wirtschaftsliberalismus. Der Einzelne solle sich wirtschaftlich entfalten können und so seine Freiheit steigern. Die demokratische steht für soziale Gerechtigkeit durch Umverteilung und heute vor allem für Minderheitenrechte. Der Einzelne solle sich selbst verwirklichen können. Die Aufgabe des Staates ist es in beiden Visionen, die äusseren Fesseln, die die Entfaltung des Individuums hemmen, zu beseitigen. Für Deneen und die Postliberalen steckt ein falsches, eben ein liberales Freiheitsverständnis hinter diesen Positionen. Anknüpfend an die antike und mittelalterliche Philosophie sagt Deneen, Freiheit bedeute in erster Linie Freiheit von inneren Fesseln, Souveränität über die eigenen Triebe, Wünsche, Bedürfnisse. Die Kernfrage lautet in unserem Zusammenhang, was für eine politische Philosophie aus solchen Einsichten formuliert wird.
Der Latino-Faktor
Auch Brühwiler ging auf den sozialen Wandel innerhalb des U.S.-Katholizismus ein. Durch die anhaltende Einwanderung aus Lateinamerika gewinnt der Latino-Anteil unter den Katholiken ein immer größeres Gewicht. Das Fehlurteil, damit würde automatisch die Demokratische Partei gestärkt, ist widerlegt. Beobachter unterschätzten, wie sehr Familienwerte und auch der Appell an den gesellschaftlichen Aufstieg durch eigene Anstrengung in dieser Gruppe auf Anklang stößt. Die Tatsache, dass die Latinos mit U.S.-Staatsbürgerschaft selbst Migranten waren, bedeutet nicht, dass sie sich mit den jetzigen Neuankömmlingen solidarisch erklären.
Zur Niederlage von Kamala Harris hat wesentlich beigetragen, dass die demokratische Präsidentschaftskandidatin eine akademische, woke Sprache spricht, die weder bei den Latinos noch im überkommenen Arbeitermilieu verstanden wird geschweige denn ankommt. Die Demokraten haben politisch erst wieder eine Chance, wenn sie diesen Milieus ein glaubhaftes Angebot machen.
Eine fruchtbare Diskussion
Nach den Vorträgen entwickelte sich eine aufschlussreiche Diskussion, die zunächst auf das Thema Nationalismus zurückkam. In den USA gibt es eine Bewegung, die sich „Christian Nationalism“ nennt und Trump-nahe ist. Diese Leute sind für scharfe Kontrolle der Einwanderung und pflegen die Vorstellung, die Vereinigten Staaten seien eine besondere „Nation under God“ – Christentum und Nationalismus gehen hier zusammen. Von einem katholischen Gesichtspunkt ist das schwerlich mitzumachen, denn der Universalismus liegt sozusagen in der DNA des Katholizismus. Es bleibt also eine Spannung zwischen jenen katholischen Kreisen, die Trump gewählt haben, und der Lehre der katholischen Kirche. Nun wird es sehr aufschlussreich zu beobachten sein, wie sich der U.S.-Katholizismus zwischen Präsident Trump und Papst Leo XIV, der als Amerikaner seine Pappenheimer genau kennt, verhalten wird.
Eine andere Wortmeldung betraf die Politik von Donald Trump und nannte diese erratisch. Frau Professor Brühwiler widersprach: die Politik des U.S.-Präsidenten sei kohärent, d.h. sie entspreche den Ankündigungen im Wahlkampf. Nur in der Aussenpolitik schwanke sie zwischen einem Kurs, welche die Schurken dieser Welt bekämpfen wolle – dafür stehe Aussenminister Rubio, Kind von kubanischen Einwanderern – und einem Kurs, welche Amerika auf seine Einflusssphäre konzentrieren wolle – dafür stehe Vizepräsident Vance.
Die Tagung war gut besucht und brachte eine Fülle von historischen und politologischen Einsichten. Die politikphilosophische Seite des Themas hätte noch ausführlicher zur Sprache kommen können – Aufgabe einer künftigen Tagung vielleicht. Jedenfalls hat die Stiftung foXs mit „Ende des Liberalismus?“ ein brandaktuelles Thema aufgegriffen, dass uns alle weiter beschäftigen wird.