Regisseur Cristian Mungiu

Ein Dorf in Siebenbürgen, auch Transsylvanien genannt, ist Schauplatz dieses starken Films des  rumänischen Regisseurs Christian Mungiu. Es ist ein ehemals von Siebenbürger Sachsen bewohntes Dorf;  darauf hat mich Valentin Lustig  hingewiesen. Die Architektur verrät es. Und das ist für die Handlung nicht unwichtig: Die Deutschen sind fast alle gegangen, nachgekommen sind Ungarn und Rumänen. Anfänglich auch Roma, aber die wurden mit vereinten Kräften verjagt.

Mikrokosmos und Makrokosmos

Im Dorf existiert eine Grossbäckerei, die händeringend nach Arbeitskräften sucht. Aber viele Arbeitsfähige  leben nun ausgerechnet in Deutschland.  Die Eigentümerin und ihre Geschäftsführerin wenden sich an einen Vermittler, der ihnen prompt zwei Arbeiter organisiert,  Männer aus Sri Lanka. Damit geht es los: die Einwohnerinnen und Einwohner wollen keine Fremden, keine, die mit dunklen Händen ihr Brot beschmutzen.

Der Konflikt schaukelt sich auf, wobei der Pfarrer nichts zur Deeskalation beiträgt. Der Einwand der Eigentümerin, einer der Männer sei doch katholisch, verhallt. Der Höhepunkt des Films bildet eine vom Bürgermeister einberufene Einwohnerversammlung. Hier werden vielfältige Bruchlinien sichtbar: Rumänen und Ungarn, gegen die Roma wie gegen die Asiaten vereint, sind sich nicht grün. Ein Franzose, der den humanitären Standpunkt zur Geltung bringen will, wird mit den eigenen Widersprüchen konfrontiert. Ein ehemaliger Mitarbeiter der Bäckerei nutzt die Aufmerksamkeit, um die Bezahlung von Überstunden einzufordern. Es sind keine Besitzbürger, die sich hier gegen  Migranten stellen, es sind potentielle Migranten.

Ein Mann zwischen allen Stühlen

 Im Hauptdarsteller Matthias personifiziert Mungiu diesen Zwiespalt: nach einem Streit am Arbeitsplatz gerade Hals über Kopf aus Deutschland zurückgekehrt, in väterlicher Linie Siebenbürger Sachse, zwischen seiner Familie und seiner Geliebten hin- und hergerissen, steht er zwischen allen Stühlen.  Seinem fremdelnden Sohn will er zeigen, wie ein Mann sich durchsetzt, wie ein Mann überlebt. Dazu gehören Jagen und Schlachten. „Überkommene Rollenmuster“ würden unsere Feministinnen sagen.  Damit haben sie nicht ganz unrecht, zeigt doch auch Matthias Abstammung, dass er mehr zur Vergangenheit als zur Gegenwart gehört. Und dennoch: wissen sie, wissen wir, was Überleben heisst?

Das Dorf, so peripher es auch erscheint, vereint wie in einem Brennglas  Konflikte, die uns heute in Europa umtreiben. Und es zeigt uns Westeuropäern die paradoxen Folgen der EU-Personenfreizügigkeit, die uns dringend benötigte Metzger, Bauarbeiter und Altenpflegerinnen beschert. Ganze Landstriche in Osteuropa entleeren sich, sodass die wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung  behindert wird. A propos Westeuropa: eine der erhellendsten Szenen spielt während eines Abendessens, wo Einheimische dem Franzosen, der zum Bärenzählen gekommen ist, die Komplexität Siebenbürgens erklären wollen. Die Antwort des jungen Mannes: „Region, Nation – egal, wir sind ja heute alle in Europa.“  Westeuropäische  Ignoranz, die sich darauf auch noch etwas einbildet. Die Anwesenden antworten mit einem rumänischen Sprichwort: „Bruder, Bruder, aber der Käse kostet was.“ Die Realitäten verschwinden nicht, selbst wenn man die ‚Ode an die Freude‘ anstimmt.

Widersprüche und Paradoxien

Ohne Kenntnisse der Geschichte lässt sich nicht mal ein lokaler Konflikt  verstehen. Der Witz von R.M.N besteht ja gerade darin, dass die scheinbar Alteingesessenen gar nicht alteingesessen sind. Überdies  selber gezwungen auszuwandern, wenn sie mehr als den erbärmlichen rumänischen Mindestlohn verdienen wollen. Dies macht sie nicht toleranter, sondern im Gegenteil,  intoleranter gegenüber  Zuzug.

Insgesamt ein formal wie inhaltlich herausragender Film, der uns  am Schluss  mit dem Irrationalen konfrontiert, verkörpert von den Bären, die die im Film auch dann präsent sind, wenn man sie nicht sieht. In der Schlussszene entpuppen sich die Bären als Menschen, die sich verkleidet haben: das Irrationale ist in uns. Ist es Zufall, dass aus den alten Filmmächten Italien und Frankreich zwar routiniert gemachte, aber inhaltlich nicht wirklich überzeugende Filme kommen, während Polen, Ungarn und Rumänien aktuell Filme produzieren, die den Nerv treffen?