Was ist der Mensch? – Versuch einer Zwischenbilanz

Die letzten drei foXs-Tagungen haben sich aus unterschiedlichen Blickwinkeln mit der Anthropologie befasst. Ich unternehme hier den Versuch, zentrale Ergebnisse und offen gebliebene Fragen dieser Auseinandersetzung zusammenzufassen.

Der Mensch als Software

Den Anfang machte im Januar 2021 die Veranstaltung zum Trans- und Posthumanismus. Dass die mit diesen Denkrichtungen verbundenen Heilsversprechen oftmals religiöse Züge aufweisen, führte zu zahlreichen kritischen Entgegnungen von Seiten der an der Tagung beteiligten Theologinnen und Theologen. In besonderer Erinnerung ist mir Michael Coors’ scharfsinnige Analyse, inwiefern der Transhumanismus trotz seines Anspruchs, den Tod zu überwinden, hinter einem christlichen Verständnis von Ewigkeit zurückbleibt: Ewiges Leben im christlichen Sinn ist nicht bloss eine ins Unendliche fortgesetzte Verlängerung des Bestehenden, sondern eine Perspektive, die das zeitliche Leben transzendiert und somit als Rahmen für seine Deutung dienen kann.

Ein weiterer von mehreren Referierenden aufgeworfener Kritikpunkt war die latente Körperfeindlichkeit, die oft mit dem transhumanistischen Kampf gegen die menschliche Sterblichkeit einhergeht – man denke etwa an das verbreitete Verständnis des menschlichen Bewusstseins als blosse „Software“, die man dereinst von der „Hardware“ des (todverfallenen) Leibes abkoppeln und auf einem Supercomputer für alle Zeiten konservieren können soll. Die Anthropologie wird so zu einem Teilgebiet der Informatik.

Der Mensch als Organismus

Einen wohltuenden Kontrapunkt zu diesem ätherischen Menschenbild setzte Thomas Fuchs mit seinen Vorträgen an der Tagung im März 2022. Auf der Grundlage von neurowissenschaftlicher Forschung und phänomenologischer Philosophie plädierte er für die Überwindung des traditionellen Körper-Seele-Dualismus, der auch heute noch (etwa in der eben erwähnten Form des Hardware-Software-Dualismus) zahlreiche Debatten in der Philosophie des Geistes und der Anthropologie prägt. Zentral für diese Überwindung ist ein Verständnis des menschlichen Leibes als Empfindungs- und Handlungssubjekt, im Unterschied zum blossen Körper als materielles Ding unter anderen Dingen.

In der an die Vorträge anschliessenden Diskussion zeigte sich aber eine Schwierigkeit dieses Ansatzes, die sich als ebenso hartnäckig erweisen könnte wie die Schwierigkeiten des traditionellen Dualismus: Wie ist das Verhältnis von Leib und Körper zu verstehen? Natürlich ist jeder Leib auch ein Körper, während es gewisser Voraussetzungen bedarf, damit ein Körper als Leib zählt. Auf diese Voraussetzungen angesprochen, brachte Fuchs den Begriff des Organismus ins Spiel, was wiederum bei einigen Beteiligten philosophische (und theologische) Alarmglocken ertönen liess: Die durch diesen Begriff nahegelegte Einordnung der Anthropologie in die Biologie scheint dem, was den Menschen ausmacht, nicht gerecht zu werden.

Der Mensch zwischen Punktteilchen und Gottebenbildlichkeit

Rationalität, also das Fragen nach und Anführen von Gründen für das eigene Denken und Handeln, ist zweifellos ein zentraler Aspekt des Menschseins. Dieser stand im Fokus der Tagung vom Juni 2022, wobei sich wiederum sogleich die Frage stellte, wie dieser Aspekt zur körperlichen Existenz des Menschen in Beziehung steht. Michael Esfeld präsentierte dazu einen Vorschlag, der dem rationalen Denken und Handeln eine Autonomie im normativen Sinn zugesteht, jedoch auf der deskriptiven Ebene letztlich alles auf Physik (genauer: auf eine vom physikalischen Atomismus inspirierte Ontologie von blossen Punktteilchen und Abstandsrelationen) zurückführen möchte.

Freilich zieht ein solcher Vorschlag die Verpflichtung nach sich, mehr zum Verhältnis der normativen und der deskriptiven Sphäre zu sagen, und an einigen Stellen der Tagung schien die Erwartung auf, dass die Theologie hier einen wichtigen Beitrag leisten könnte. So hielt etwa Matthias Wüthrich – bei aller berechtigten Kritik an der Rede vom Menschen als Ebenbild Gottes – an der Rolle der Theologie als Orientierungswissenschaft fest. Und auch in meinem eigenen Vortrag versuchte ich, theologische Gedanken für die Anthropologie nutzbar zu machen.

Weiterführende Gedanken

Im Hinblick auf die weitere Entwicklung dieser Gedanken bin ich Johannes Corrodi sehr dankbar für seinen ausführlichen und kritischen Tagungsbericht. Ich beende den vorliegenden Beitrag mit ein paar noch sehr unausgegorenen Antworten dazu.

Als Erstes muss ich mich meiner philosophie- und theologiegeschichtlichen Bildungslücken schuldig bekennen. Dass meine Rekonstruktion der christlichen Vorstellung der Selbstentäusserung Gottes offenbar schon bei Hegel zu finden ist, wusste ich nicht, und ich bin sehr interessiert daran, mehr dazu zu erfahren.

Was die Kritik am wissenschaftlichen Realismus (an dem ich noch stärker festhalte als Esfeld) betrifft, scheint sie mir zumindest teilweise auf einem Missverständnis zu beruhen. Obwohl ich mich manchmal zu einer gewissen Sympathie für den Physikalismus hinreissen lasse, liegt es mir (zumindest in meinen nüchterneren Momenten) fern, „die Welt“ oder „das physikalische Universum“ zum Gegenstand meines wissenschaftlichen Realismus zu machen. Vielmehr vertrete ich einen selektiven Realismus, der sich auf spezifische wissenschaftliche Gegenstände beschränkt, in Abhängigkeit davon, welche Art von Evidenz für deren Existenz vorliegt. Insofern liegt Corrodis Betonung der „wissenschaftlichen Gegenstandsbereiche“ eigentlich ganz auf meiner Linie.

Wie ich in meinem Vortrag ausgeführt habe, steht die Forderung nach einem vollständigen Weltbild in einem gewissen Widerspruch zur Forderung nach einem wissenschaftlichen Weltbild. Ein (recht verstandener) wissenschaftlicher Realismus widersteht deshalb der Gefahr, durch überzogene Vereinheitlichungsansprüche die Vielfalt wissenschaftlicher Gegenstandsbereiche ausser Acht zu lassen. Diese Gefahr scheint mir vielmehr gerade dann zu bestehen, wenn man (wie Corrodi im letzten Absatz seines Berichts) an Esfeld anknüpfend eine abstrakte Geometrie zur konzeptuellen Grundlage aller Wissenschaften machen will und damit möglicherweise die einzelnen Wissenschaften in ein Korsett zwängt, das weder ihren Gegenständen noch unseren Ansprüchen an empirische Überprüfbarkeit gerecht wird