Wider die Gott-Hypothese

“Diese Hypothese benötige ich nicht”, soll Pierre-Simon de Laplace geantwortet haben, als ihn Napoleon fragte, wo Gott in seinem System der Mechanik vorkomme. Die in dieser Anekdote aufscheinende Denkweise prägt bis heute viele Debatten zum Verhältnis von Naturwissenschaft und Religion. Interessant daran ist, dass selbst viele, die Laplace’ Atheismus (oder Agnostizismus) nicht teilen, unbewusst eine seiner Grundannahmen akzeptieren: Sie führen alle möglichen Argumente gegen die von Laplace behauptete Entbehrlichkeit der Gott-Hypothese an, ohne je zu fragen, ob es denn überhaupt adäquat ist, Gott als Hypothese zu verstehen, für die in einem naturwissenschaftlichen System irgendwie Platz gefunden werden muss.

Solche Versuche führen zu dem, was Lydia Jaeger in einem 2012 erschienenen
Artikel treffend als „Physikalismus-plus-Gott“ bezeichnet und scharf kritisiert hat. Insbesondere setzt sie ein grosses Fragezeichen hinter die Behauptung, dass die im 20. Jahrhundert entwickelten Chaos- und Quantentheorien mehr Raum für die Gott-Hypothese lassen als das mechanisch-deterministische Weltbild von Laplace. Man muss ihrer Kritik nicht in allen Belangen zustimmen, um anerkennen zu können, dass sie den Finger auf einen wunden Punkt legt: Wenn die Welt als ein System verstanden wird, in das Gott gewissermassen nachträglich als zu prüfende Hypothese eingeführt werden muss, dann ist im grundlegenden Verständnis der Beziehung zwischen Schöpfer und Schöpfung etwas schief gelaufen.

Die Warnung davor, Gott als wissenschaftliche Hypothese aufzufassen, hat nicht etwa zum Ziel, Religion und Wissenschaft hermetisch voneinander abzuriegeln, um so jeden Konflikt zwischen ihnen von vornherein für substanzlos zu erklären. Dies wäre nur ein weiterer Rückfall in die von Johannes Corrodi im
August-Beitrag dieses Blogs kritisierte „Reinheit“ des Denkens. Vielmehr geht es darum, die Hypothesen-Konzeption Gottes (selbst wenn man geneigt ist, die Hypothese für wahr oder notwendig zu halten) als überkommene und keineswegs zwingende Denkform zu erkennen, deren Überwindung neue Horizonte im Spannungsfeld zwischen Glauben und Wissen eröffnet. In diesem Sinn freue ich mich auf die nächste foχs-Tagung, die uns hier sicher einen Schritt weiter bringen wird.