Der Tod ist abstrakt, die Toten sind es nicht. Eine Antwort auf Barbara Bleisch. Teil III

Der Tod ist der ultimative Störfall. Natürlich ist es klug, Vorsorge zu treffen, z.B. mit einer Todesfallversicherung für die Nachkommen. Aber das ist nicht wirklich die Antwort auf  Sterben und Tod, es federt lediglich die finanziellen Folgen für Dritte ab. Die Religion, von der Bleisch im sarkastischen Ton spricht als etwas Vergangenes, Überlebtes, hatte und hat einen anderen Zugang. Und vor allem verfügt Religion über eine Sprache.  Dazu möchte ich eine kleine, aber wir mir scheint sprechende Anekdote erzählen: im Juni 2011 starb mein  Sohn Nicola nach einem Unfall. Ich verschickte Todesanzeigen. Für ausgewählte Freunde fügte ich mit letzter Kraft einige persönliche Worte an. Ein, vielleicht auch zwei Jahre später traf ich ein befreundetes Paar, von dem ich keine Beileidsbekundung erhalten hatte. Als sie mich sahen, brach es aus dem Mann heraus: „Ich habe ein so schlechtes Gewissen, dass wir dir nicht geschrieben haben. Wir wussten einfach nicht, was wir schreiben sollten.» Es handelt sich um bekannte Zürcher Intellektuelle  – keine Personen, denen normalerweise die Worte fehlen.

Der Tod - jenseits unserer Welt

Ich habe ihre Entschuldigung angenommen, denn sie war nicht vorgeschützt, da bin ich mir sicher. Sie waren wirklich ratlos, wie sie mir antworten sollten. Die Grenzen meiner Sprache sind die Grenzen meiner Welt, sagt Wittgenstein. Der Tod, zumal der plötzliche Tod, scheint jenseits unserer Welt zu liegen. Aber wie passt das zu Bleischs These von der Normalisierung des Todes? Gar nicht, würde ich sagen. Der herrschende Sterben-und-Tod- Diskurs ist einerseits abstrakt, andererseits technizistisch und individualistisch: welche Vorkehrungen muss ich treffen? Es geht aber nicht nur um meinen Tod, sondern auch um den Tod von geliebten Menschen. Um den Tod der anderen. Das ist der Schrecken. Dass die Menschen, die ich am meisten liebe, plötzlich nicht mehr da sein könnten. Dafür gibt es keine Normalisierung. Kein Text, den ich kenne, bringt das so prägnant zur Sprache wie das berühmte Gedicht von Mascha Kaléko.,

Memento

Vor meinem eignen Tod ist mir nicht bang,
Nur vor dem Tode derer, die mir nah sind.
Wie soll ich leben, wenn sie nicht mehr da sind?

Allein im Nebel tast ich todentlang
Und laß mich willig in das Dunkel treiben.
Das Gehen schmerzt nicht halb so wie das Bleiben.

Der weiß es wohl, dem gleiches widerfuhr;
– Und die es trugen, mögen mir vergeben.
Bedenkt: den eignen Tod, den stirbt man nur,
Doch mit dem Tod der andern muß man leben.

aus: Verse für Zeitgenossen