Glauben und Wissen, Teil 4

Glaube ist nicht gleich Glaube

Jede Erörterung des Themas Glauben und Wissen sollte mit der Doppeldeutigkeit des Begriffs „Glauben“ beginnen. Während im Englischen oder Französischen zwischen belief/croyance und faith/foi unterschieden wird, sprechen wir im Deutschen in beiden Fällen von Glauben. Dabei sind belief und faith unterschiedliche Glaubensarten: sage ich „Ich glaube, da oben ist ein Flugzeug“ lässt sich diese Aussage verifizieren bzw. falsifizieren. Höre ich z.B. anschwellendes Flugzeuggeräusch, weiss ich, dass da tatsächlich ein Flugzeug ist. Beim Glauben als faith ist das nicht möglich. Glauben als faith bezieht sich auf eine Wirklichkeit, die solchen empirischen Verifikations- oder Falsifikationsverfahren entzogen ist.

 

Fiduzieller und probabilistischer Glaube

Peter Schulthess, mittlerweile emeritierter Professor für theoretische Philosophie an der Uni Zürich, sprach von fiduziellem bzw. probabilistischem Glauben. Der Satz „Ich glaube, da oben ist ein Flugzeug“,  kann übersetzt werden in die Aussage „Wahrscheinlich ist da oben ein Flugzeug“.  Die Aussage „Ich glaube an Jesus Christus Gottes Sohn“ meint jedoch nicht „Wahrscheinlich ist Jesus Christus Gottes Sohn“. Wenn Jürgen Habermas in seinem neuen Opus Glauben mit „Für-wahr-halten“ übersetzt, verkennt er jene andere Dimension des Glaubens, die religiösen Glauben erst ausmacht. Die Sprache, die deutsche Sprache zumal, führt uns in diesem Fall in die Irre.

Bleiben wir einen Augenblick bei den englischen und französischen Wortbildungen. Faith ist verwandt mit fidelity, Treue. Im Französischen ebenso: foi, fidelité. Vertrauen geht im Englischen auf das Germanische zurück: trust, während im Französischen confiance aus dem gleichen Wortstamm wie foi erwächst. Fazit: religiöser Glauben hat nichts mit Wahrscheinlichkeit, jedoch viel mit Treue und Vertrauen zu tun. Der Atheistenspruch „Glaubst du noch, oder weisst du schon“ funktioniert nur im Deutschen.

 

Glaube vs. Religion

Nun kann man Glauben nicht nur gegen das Wissen bzw. gegen die Vernunft abheben. Gemäss einer verbreiteten protestantischen Haltung ist das Christentum ein Glaube, keine Religion. Glaube wäre demnach der Innerlichkeit, der Subjektivität zuzurechnen, während Religion gemäss dieser Auffassung Äusserlichkeit, Menschenwerk beteute. Das Christentum gewinnt so eine Sonderstellung inmitten der Religionen. Diese sind eben Menschenwerk, im schlechtesten Fall leerer Ritualismus.  Ich halte diese Entgegensetzung für irreführend. Wir Menschen sind nicht reine Geistwesen – wir sind auch Körper oder besser: Leib. Der Ritus hat damit zu tun, hat mit unserer Leiblichkeit zu tun, auch mit unserer Sozialität. Habermas hat dazu übrigens eine interessante These vorgebracht. Für den Erfolg des frühen Christentums bringt er den Ritus in Anschlag. Das hätten die antiken Philosophen, die Stoiker, Epikuräer und Platoniker nie verstanden: das Christentum mochte ihnen intellektuell nicht gewachsen sein, verfügte aber im Ritus, in der liturgischen Praxis über eine Dimension, die ihren Lehren abging.  Die Überzeugungskraft des Christentums lag nicht so sehr in der Lehre als vielmehr in jener performativen Praxis, welche in theologischer Sprache Liturgie genannt wird. Zudem ist der zentrale Ritus des Christentums, das Abendmahl, gemäss der drei synoptischen Evangelien von Christus selbst gestiftet worden.

 

Glaube und Kultur

Heute wird Glaube auch oft mit Kultur in Verbindung gebracht. Dazu eine kleine Anekdote: als vor Jahren Lukas Niederberger den Jesuitenorden mit Getöse verliess, wurde er gefragt, wieso er denn nicht gleich konvertiere. Seine Antwort: eine Religion ist neunzig Prozent Kultur und zehn Prozent Glaube. Offenbar ist es schwieriger, die Kultur zu wechseln als den Glauben.