Glauben und Wissen, Teil 3

In meinem vorletzten Blog zu Jürgen Habermas habe ich mich gewundert, wie wenig Platz die neuzeitliche Naturwissenschaft in seinem neuesten Werk einnimmt. Habermas untersucht im zweiten Band von „Auch eine Geschichte der Philosophie“ das Auseinandertreten von Glauben und Wissen ab dem 16. Jahrhundert. Vielleicht spielt die sich entwickelnde Naturwissenschaft in diesem Prozess tatsächlich nicht die Hauptrolle. Wir alle kennen die berühmte Antwort von Laplace auf Napoleons Frage, wo den Gott in seinem System geblieben sei: „Sire, diese Hypothese habe ich nicht nötig“, soll der Physiker geantwortet haben. Aber hier sind wir schon im ausgehenden 18. Jahrhundert, und Laplace sagt damit lediglich, dass sein physikalisches Modell ohne Rekurs auf Gott konstruiert ist. (vgl. Blog von Matthias Egg)

Die Auflösung der mittelalterlichen Synthese von Glauben und Wissen hatte politische, rechtliche – der Weg vom Natur- zum Vernunftrecht nimmt bei Habermas breiten Raum ein – und nicht zuletzt philosophisch-theologische Gründe: Wilhelm von Ockhams Einspruch gegen Thomas von Aquin entzündete sich an erkenntnistheoretischen Diskussionen – dem Universalienstreit – und an einem veränderten Begriff von Gott. Es war just die Betonung des absolut freien, durch kein Naturrecht mehr an das Gute gebundenen Willen Gottes, die Ockham als den Startpunkt des Auseinandertretens von Glauben und Wissen erscheinen lässt – so in der  mittlerweile klassischen Rekonstruktion der Entstehung der Neuzeit von Hans Blumenberg.

Wenn das stimmt, dann ist das „säkulare Zeitalter“ (Charles Taylor), in dem wir zumindest im Westen leben, nicht zuletzt durch innertheologische Weichenstellungen angestossen worden. Vergleicht man die grossen Erzählungen von Habermas und Taylor miteinander, so fällt sofort auf, dass sie sich in der Frage, ob sich die Entwicklung mit innerer Notwendigkeit vollzogen habe, fundamental widersprechen: Habermas spricht es nie aus, suggeriert aber, dass die Entwicklung vom „Zeitalter der Weltbilder“ zum „nachmetaphysischen Zeitalter“ eine innere Logik entfaltet hat, während Taylor plausibel macht, dass die verschiedenen Weichenstellungen in diesem Prozess kontingent waren. Beide stimmen jedoch im Befund überein, dass die Naturwissenschaften nicht die Hauptrolle gespielt haben im Übergang von einer Welt, in der Unglauben praktisch nicht denkbar war zu unserer Welt, in der auch Gläubige im Bewusstsein leben, dass Unglauben eine Option ist.

Die Frage, was denn genau Modernität meint, ist heute aktueller denn je, auch weil diese Frage heute mit der Frage, ob es eine Moderne gibt, die nicht westlich konnotiert ist, verbunden ist. Um die erste Frage zu beantworten oder wenigstens zu klären, ist es unumgänglich, sich der Rolle, die das Christentum auf dem Weg zur Moderne gespielt hat, bewusst zu werden.