Serie: Der italienische Sozialkatholizismus, Teil I

Der italienische Katholizismus hat im 20. Jahrhundert eine eigentümliche Richtung hervorgebracht, den man etwas plakativ den norditalienischen Sozialkatholizismus nennen kann. Es handelt sich um eine Bewegung, die sowohl Kleriker als auch Laien umfasst, unter ihnen Journalisten, Schriftsteller, Filmemacher. Im Folgenden möchte ich die Grundzüge dieser bei uns wenig bekannten christlichen Kultur skizzieren; in drei weiteren Blog-Einträgen sollen dann einzelne Vertreter vorgestellt werden.


Option für die Armen und Kritik an der Naturzerstörung

Wichtigstes Merkmal dieser Bewegung ist ihr Einstehen für die Armen: Auf der Seite der Armen stehen wird als Essenz des Christentums angesehen, Nächstenliebe zu üben ist für eine Christin bzw. einen Christen das Wichtigste überhaupt. Vor allem nach dem II. Weltkrieg, aus dem Italien wirtschaftlich, politisch und moralisch zerrüttet hervorgeht, wird dieser Positionsbezug mit einer Gesellschaftskritik verbunden, die oft antikapitalistische Züge annimmt. Der kulturellen wie der ökonomischen Moderne stehen ihre Vertreter distanziert gegenüber. Pier Paolo Pasolinis Kritik an der Naturzerstörung – das „Verschwinden der Glühwürmchen“ – steht emblematisch dafür. In Adriano Celentanos Schlager „Il ragazzo della via Gluck“ findet diese frühe ökologische und antimoderne Kritik eine populärkulturelle Entsprechung.

Auf der praktischen Ebene engagieren sich ihre Vertreter für Waisen, für die in die Städte strömende Landbevölkerung, für die Ausgebombten. Im Armen erkennen sie das Antlitz Christi. Nun wäre es falsch, dieses Phänomen für eine Bewegung „von unten“ anzusehen, denn einige Kardinäle und Päpste können dieser Kultur zugerechnet werden: Papst Johannes XXIII und Papst Paul VI sind ihre Spitzenvertreter, auch Carlo Maria Kardinal Martini, dessen Wirken in Mailand unvergessen ist und dessen Schriften teilweise ins Deutsche übersetzt worden sind. Die Kirche von innen her zu erneuern, erkannten diese Männer als ihre grosse Aufgabe.

Zwei Kulturen

Der italienische Sozialkatholizismus hatte und hat seine Zentren in Norditalien, während Rom in der religiös-kulturellen Landschaft Italiens für Hierarchie, Beharren auf der Tradition und natürlich für das Lehramt steht. Spitzenvertreter dieser Richtung sind Papst Pius XII und Kardinal Ottaviani, der Vorsteher des Sanctum Offizium (die heutige Glaubenskongregation) zu Zeiten des II. Vatikanums sowie Gegenspieler der fortschrittlichen Konzilsteilnehmer. Sie argumentierten neoscholastisch, während für die norditalienischen Sozialkatholiken die Orientierung am Evangelium zentral war und ist. Die Intellektuellen unter ihnen lesen die Autoren des „Renouveau Catholique“ und dazu Jacques Maritain.

Politisch hatten sie wenig Berührungsängste mit der Linken, sie bildeten selbst den linken Flügel der Democrazia Cristiana (DC). Viele von ihnen unterstützten Aldo Moros Versuch eines „compromesso storico“ mit der Kommunistischen Partei Italiens (PCI). In den frühen achtziger Jahren demonstrierten viele gegen den NATO-Doppelbeschluss, Seite an Seite mit den Kommunisten, denn ein radikaler Pazifismus war und ist unter ihnen weit verbreitet. Damit bewiesen sie ein gerüttelt Mass an politischer Naivität.

> Fortsetzung folgt